Leben im Käfig

Nun konnten wir alle in den vergangenen Wochen unsere ganz eigenen Erfahrungen mit Beschränkungen und dem Gefühl des Eingesperrtseins machen.

Täglich laufen wir unseren Käfig ab in der Hoffnung einen neuen Ausblick zu ergattern. Diese ungewohnte Begrenztheit birgt viele Mysterien.

Als Partner regt uns vielleicht auf, wie er/sie die Spülmaschine einräumt, als Bewohner eines Mehrfamilienhauses nerven eventuell die Nachbarn. Noch nie mussten wir so viel Zeit mit Menschen unter einem Dach verbringen, die wir sonst nur grüssen. Plötzlich wird man Zeuge von Dingen, die einen eigentlich nicht interessieren, aber auch manchmal nichts angehen:

Streit im Nachbarhaus, ausquartierte Ehemänner, brüllende Kinder. Ständig begegnet einem jemand im Treppenhaus, oft sieht man selbst nicht gerade *gut* aus. Schlabberlook ist angesagt.

Familie X lässt wieder alles einfach vor der Tür rumliegen, gefegt wird auch nicht. Die Neuen halten sich nicht an die Gepflogenheiten im Garten und der Hund von drüben pinkelt am liebsten bei uns.

Nur wir selbst sind natürlich verantwortungsbewusst und machen alles richtig. Lauschen nicht bei den Telefonkonferenzen, die auf dem Balkon stattfinden (was macht der oben eigentlich?), achten nicht auf das Geschepper von Glasflaschen (Herr Y hatte wohl wieder Durst gestern Abend). Und selbstverständlich beobachten wir nicht heimlich das merkwürdige Verhalten der Dame von ganz unten, die einen angeschlagenen und verstörten Eindruck macht, seit ihr Mann mit einem Koffer das Haus verliess (wo steckt der eigentlich seit 4 Wochen?).

Ja – die soziale Kontrolle ist in diesen Zeiten ausserordentlich gross. Ausspionieren und verleumden wird plötzlich ganz leicht gemacht. Dabei wünscht sich das keiner.

Ich begreife zum ersten Mal ansatzweise, was es heisst in einem Überwachungsstaat leben zu müssen. Auch für mich gilt:

Abstand und Respekt wahren – nicht nur aus Hygienegründen!

2 Gedanken zu „Leben im Käfig

  1. Beate

    Da möchte ich mich dranhängen an: Abstand und Respekt wahren – nicht nur aus Hygienegründen!
    Wenn ich genau hinschaue, zeigt uns die Krise sehr viel Beachtenswertes, welches nicht nur in C……Zeiten Gültigkeitswert haben sollte. Auf der einen Seite erlebe ich unglaublich geduldige Menschen in Deutschland ( hätte ich ihnen gar nicht zugetraut) und auf der anderen Seite nehmen sich einige, zum Glück wenige die Freiheit, andere zu reglementieren bis hin zu diskreditieren, weil sie sich nicht wie Schafe in der Herde verhalten.
    Ich mache mir auf einmal Gedanken, über Dinge, die ich nicht nachdenkenswert empfand z.B. darf ich jetzt mit meinen Freunden auf der Terrasse sitzen ohne das sich jemand beschwert. Darf ich meine Unsicherheit, meine Ängste äußern ohne gleich in eine politische Ecke gedrängt zu werden.
    Wie fühlt es sich an, wenn man nicht mainstream mäßig drauf ist? Hmmm

    • fatima

      Ja Beate, Du machst ähnliche Beobachtungen wie ich. Vor allem die Erfahrung, dass man sofort in eine Kategorie gedrängt wird, sei es altersmässig, gesundheitlich oder politisch. Anscheinend brauchen Menschen in solchen Zeiten Schubladen, in die sie reinsortieren können. Das gibt etwas Halt.
      Danke für Deinen Kommentar und entschuldige meine verspätete Antwort.
      Viele Grüsse !

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