Gerade war ich mal wieder in meiner alten Heimat, irgendwo auf dem Land – in der Mitte Deutschlands.
Man ist ja immer irritiert über die Veränderungen, die sich an einem einst so vertrauten Ort offenbaren. Wo einmal Äcker und Weinberge waren stehen heute Discounterzentren mit fragwürdigem Angebot. Die früheren Spazierwege zum Flusslauf sind betoniert und zugebaut, was einmal Wasserschutzgebiet war, ist heute Neubauzone.
Inmitten dieser veränderten Umgebung kam mir meine alte Schulfreundin in den Sinn. Spontan meldete ich mich bei diesem einst so umschwärmten Mädchen, um zu schauen, ob ich wenigstens dort noch etwas wiederfinde, was mir vertraut ist.
Ich klingelte dort, wo ich 55 Jahre zuvor fast täglich meinen Finger hinlegte, die Tür ging auf und…tja, – ich zögerte einen Moment und überlegte, ob ich mich irgendwie vertan hatte.
Erschrocken blickte ich auf diese Frau, die mir gegenüber stand. Zweifellos gesundheitlich arg gebeutelt und umhüllt von sehr viel Körperfülle erkannte ich vage ein paar Gesichtszüge. Ich wollte schon die Flucht ergreifen, bereute meine Spontanidee. Zu spät.
Mit vertrauter Stimme ergoss sich in den folgenden 3 Stunden ein Redeschwall über mich, dem ich mich nicht entziehen konnte. Da sass eine Frau, die offentsichtlich nur selten Gelegenheit bekam, ihre Stimme einzusetzen. Ihr massiger Körper thronte auf einem elektrisch verstellbaren Sofa (alles andere ist zu anstrengend), drumherum Readers Digest Hefte, die schon in den Sechzigern „out“ waren, Kuscheltiere und Pillendosen.
Gemeinsame Themen, wie Ausbildung, Ehe und Kinder waren schnell abgehandelt. Danach war nur noch die Vergangenheit Thema. Verwirrt und erschrocken machte ich mich auf den Nachhauseweg.
Was ist nur aus diesem Mädchen geworden? Einst eine der Klassenbesten mit glänzenden Perspektiven nach dem Abitur, nun im Ruhestand. Oder eher im Stillstand?
Macht das Leben diese Veränderung einfach mit einem oder lässt man das zu?
Und: Darf ich mir mit meinen eingefahrenen Denkmustern überhaupt ein Urteil darüber erlauben?