Warteschlange

Kaum aufgeblüht, fällt mein gesamtes Lebensgefühl auch schon wieder auseinander.

Endlich – : gab es Konzerte, doch das nächste, das ich besuchen wollte, wurde schon wieder abgesagt. Die Künstler durften nicht einreisen.

Endlich – : war ich in der Sonne und verhielt mich ganz brav, doch eine bestimmte Szene organisierte eine Streetparade. Die Inzidenzen unter den Touristen stiegen und die Menschen vor Ort leiden.

Endlich – : freue ich mich ein klein wenig auf grenzüberschreitendes Familienleben an Weihnachten. Doch das Handlungsvakuum beidseits der Grenzen löst Verunsicherung aus und macht Pläne zunichte.

Mögliche Besuche schweben vage im Raum, weil jeder irgendjemanden im Umfeld hat, der potentiell gefährdet: die Kollegin am Arbeitsplatz, die sich weigert zu impfen, der Sohn, der an der Uni Kontakt zu einem Infizierten hat, das Enkelkind, das mit eindeutigen Symptomen aus dem Kindergarten heimkommt.

Was geht eigentlich noch? Die Handlungsstarre der Politik zwingt verantwortungsvolle Menschen, ihre eigenen Massnahmen zu ergreifen, d. h. konkret wieder einmal freiwillig auf alles zu verzichten, was Freude bereiten könnte. Dabei sind noch nicht mal die ersehnten Bücher lieferbar, ganz geschweige denn das Lieblingsparfum.

Was tröstet da jetzt noch?

Tatsächlich meine Walk-in Booster-Impfung. Endlich lief mal wieder spontan etwas. Beim Anstehen ergaben sich kurzweilige Gespräche, Bekannte kamen gepiekst heraus, Touristen erkundigten sich, was für eine Veranstaltung denn da gerade läuft und ich erlebte eine neue Seite des sozialen Miteinanders: eine Art spontanes Strassentheater, umrahmt von witziger Situationskomik und wirklich netten Gesprächen über Altersgrenzen hinweg:

„Falls Sie unter 30 sind, sollten Sie vor der Booster-Impfung noch mal mit einem Arzt reden“.

Schön so etwas mit 66 noch mal zu hören, aber ich denke der junge Mann hatte einfach Tomaten auf den Augen.