Überalterung

In unserem Wohnviertel hat sich in den vergangenen Monaten irgendeine Veränderung eingeschlichen, ganz unauffällig. Zuerst konnte ich es nicht einordnen, wusste gar nicht, was da los ist. Heute morgen habe ich es dann begriffen: Das Quartier „altert“ – die sogenannte Überalterung wird Realität.

Männer, die man vorher nie sah, sind plötzlich sportlich unterwegs, sei es auf neuen high-tech EBikes oder lässig gekleidet Richtung Golfplatz. Wiederum andere sitzen auf fahrbaren Rasenmähern, ein eher merkwürdiger Anblick. Auch ehemalige Studiendirektoren sind geschäftig mit ihren Lederaktentaschen auf dem Weg, bei Nachfrage erfährt man: ins „Lesegrüppchen“. Und auffallend viele ältere Herren sind plötzlich mit Hunden anzutreffen, sie grüssen meist freundlich. Gesichter, die ich noch nie vorher wahrnahm, erst jetzt, nach ihrer Pensionierung. Dabei hätte ich alles schon viel früher sehen können… Die rege Umbautätigkeit, die schon vor Monaten einsetzte und über die viele Anwohner auch gerne Auskunft gaben: Treppenlifte, Dachanhebungen, Anbauten. Die „Alten“ verkleinern sich während dynamische 50-jährige die frei gewordenen Führungspositionen samt Häusern übernehmen, um noch mal so richtig loszulegen. Zahlreiche neu erstellte unterirdische Parkhallen zeugen davon.

Ja und dann gibt es ein Klientel, das fast ein bisschen deplatziert wirkt: die sogenannten „Expats“, die für ein paar Monate an diesen Ort „geschleudert“ werden, um nach kurzer Zeit wieder zu verschwinden. Ein paar vereinzelte „Junge“ bleiben. Ich nenne sie gerne die „Facebook-Mieter“. Gut ausgeleuchtet zelebrieren sie hinter riesigen Glasfassaden im Neubau gegenüber ihren Lebensstil und stellen höchst Privates zur Schau, auch duschen bleibt kein Geheimnis, ob ich will oder nicht…, aber ich schweife ab.“Überalterung“ war das Thema.

Tja, es taucht die bange Frage auf: und wann verschwinde ich? Wie lange wird es noch dauern bis mein Lebensraum „übernommen“ wird?