Ghosting

Anglizismen waren ja schon immer „in“, aber manchmal nehmen sie absurde Formen an. Ich finde *ghosting* so eine.

Dass Menschen urplötzlich aus dem eigenen Leben verschwinden ist nichts Neues, das gab es auch schon früher in einem anderen Leben – ohne Dating Plattformen. Nur war das nicht mit einer aktiven Weg-Wisch-Bewegung verbunden, wie das heutzutage üblich ist, sondern man hat sich ganz einfach nicht mehr gemeldet.

So geschehen mit einer Freundin, mit der ich weit über 20 Jahre eng verbunden war. Meine Kinder waren vernarrt in sie. Als ich dann wegzog und wir uns nicht mehr täglich sahen, entwickelte sich ein neues Ritual mit dieser Freundin. Sie kam in der Adventszeit zum Plätzchenbacken, blieb 3 Tage, verwandelte die Küche in eine Weihnachts-Backstube und die Kinder schleckten Teigreste aus Schüsseln. Ein feiner Duft durchzog das Haus…Jahr für Jahr. Dann kam sie nicht mehr. Ohne Erklärung.

Die regelmässigen Briefe blieben aus. Telefonate ins Ausland führte man nicht, die waren zu teuer und das Internet war noch nicht erfunden. Wir lebten im Prä-Digitalisierungs-Zeitalter. Heute kaum mehr vorstellbar. Aber ich bin abgeschweift…

Ghost, Ghostwriter, Ghosting – es gibt viele „hip“-e Ausdrücke für traurige Seelenzustände, aber heutzutage müssen sie „catchy“ klingen, erst dann bekommen sie Aufmerksamkeit. *Verlassen* klingt langweilig, nach alter Tante, öde, aber Ghosting hat etwas. Inhaltlich ändert sich nichts, nein, zurückgelassen zu werden – wortlos – ist nicht schön. Es bringt Verletzung und Leiden mit sich. Und über viele Jahre die Frage: warum?

Auch heute noch, nach über 25 Jahren, frage ich mich manchmal, was ist da passiert? Was habe ich falsch gemacht?