Zur Zeit liegen bei mir etwa 20 Bücher irgendwo in der Wohnung herum und warten darauf gelesen zu werden. Zum Teil stecken sie noch in Papiertüten mit Aufschriften wie:
„Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt“ – wer denkt sich nur solche Sprüche aus? Angeblich soll es aber ein Sprichwort sein.
Zum Teil liegen sie auf dem Schreibtisch, vorm Sofa oder neben dem Bett, stauben ein und verlieren an Aktualität. Wenn ich ein Buch beendet habe, schaue ich mir meistens noch die Kritiken an und wundere mich über so manche Rezension. So ging es mir gerade mit Elizabeth Strout: Am Meer.
Wer die Autorin kennt, weiss um ihre „Heldin“ Lucy Barton, deren Geschichte sie mit jedem Buch weiter erzählt: Ihr Ex-Mann William überredet sie während des Lockdowns zu einem Aufenthalt in Maine. Sie beziehen ein altes Haus am Meer, man erfährt wie es ihren mittlerweile erwachsenen Töchtern geht und wie sie die Tage als New Yorker (=Aussenseiter) in einer Kleinstadt verbringen. Es geht um ihre Schreibblockade als Schriftstellerin und um die Wiederannäherung an ihren geschiedenen Mann.
Die überwiegend wohlwollenden Besprechungen zu diesem Buch haben mich überrascht. Ich finde das Buch sehr „amerikanisch“, will heissen oberflächlich und klischeehaft. Die Sprache gekünstelt. Das Buch nett – für zwischendurch mal schnell zu lesen.
Ganz anders Dani Shapiro: Leuchtfeuer
In einer Sommernacht 1985 steigen drei betrunkene Teenager in ein Auto und danach ist nichts mehr wie zuvor. So steht es im Klappentext. Viel konnte ich damit nicht anfangen, allerdings hat mich dieses Buch mit seiner wunderschönen Sprache von Anfang an in seinen Bann gezogen. Im Mittelpunkt steht das Leben zweier Familien, die irgendwie versuchen mit den Ereignissen zurecht zu kommen. „Shapiro erlaubt kaleidoskopartige Blicke auf das Leben der einzelnen Figuren, wechselt Perspektiven, Raum und Zeiten, bis sich alles ineinander auflöst“ – so bringt es Thomas Gisbertz auf den Punkt. Ich hätte es so präzise nicht ausdrücken können. Sehr empfehlenswert! Mein derzeitiges Lieblingsbuch.
Aus dem letzten Jahr – Theres Essmann: Dünnes Eis
Kurz vor ihrem 100. Geburtstag erfasst die Protagonistin, die in einer gehobenen Seniorenresidenz lebt, eine seltsame Unruhe. Sie macht sich nichts aus Geburtstagen, interessiert sich eher dafür, was in ihrer Umgebung passiert, das Nachbarzimmer, in das ein mürrischer alter Herr eingezogen ist oder das Flüchtlingsheim nebenan. Doch nach und nach melden sich die Geister der Vergangenheit, ihre fest verschlossenen Erinnerungen an ihre dramatische Flucht aus den Ostgebieten im 2. Weltkrieg drängen ins Bewusstsein. Die Beschreibung der hochbetagten Heimbewohnerin Marietta gelingt der Autorin aussergewöhnlich gut. Die Einsamkeit, die einen umgibt, wenn man alle überlebt hat. Dieser Zustand, den eigenen Gedanken vollkommen ausgeliefert zu sein, weil man niemanden mehr hat, der im Geist noch so klar ist, wie man selbst. Und diese erfahrene Kriegs-Gewalt, die am Lebensende herausbricht.
Ich habe dieses Buch meiner fast 96-jährigen Mutter zum Lesen gegeben. Ihr Fazit:
„Woher weiss diese Frau so genau, wie es damals war und wie es uns jetzt geht?“ Gibt es eine bessere Empfehlung?
Eigentlich hatte ich noch weitere Titel auf meiner Liste, aber es wird zu lang. Geht einfach in die Buchhandlung schaut, stöbert, kauft und lest!