Eigentlich sollte ich doch längst wissen, wie dieses Rentnerleben funktioniert. Seit Jahren bin ich in Pension, habe aber anscheinend noch nicht begriffen, wie ich mit diesem „Ruhestand“ umgehen soll. Mal habe ich über Wochen ein dichtes Programm, komme kaum zum Luftholen, dann wieder diese planlose Leere. Ich hatte gehofft, dass sich alles neu ordnet, sobald mein Mann auch aus dem Berufsleben ausscheidet und wir endlich gemeinsam loslegen können.
Ich träumte von langen Reisen, Gemächlichkeit, Paarzeit, von einem Leben ohne lästige Verpflichtungen – wie naiv. Nach einer kurzen Desorientiertheit legte er los und stürzte sich in sein neues Leben: Velofahren, Musikworkshops, Konzerte oder sonstige Veranstaltungen, alles nach seinem Geschmack und deshalb meistens ohne mich.
Wir führten noch nie eine symbiotische Beziehung, dennoch hatte ich nicht mit diesem separierten Alltag gerechnet, denn das hatten wir ein Arbeitsleben lang. Aber können zwei Menschen, die über 40 Jahre lang ein weitgehend eigenständiges Leben geführt haben, sich plötzlich „gemeinsam“ fühlen? Wie erleben das andere Paare?
All das, was man sich aufgebaut hat, existiert doch weiter, das vertraute Sozialnetz oder liebgewonnene Abläufe. Zusätzlich belasten auch noch diese plötzlichen Erschütterungen, die nun immer häufiger in Form von Erkrankungen oder Todesfällen im persönlichen Umfeld daher kommen.
Die grosse Herausforderung ist jetzt wohl, sich der bisher erfolgreich verdrängten Begrenztheit des eigenen Lebens zu stellen und sich noch einmal neu zu erfinden oder zumindest neu zu orientieren. Allein oder gemeinsam. Wenn das gelingt, könnte diese Phase zu einer bisher unbekannten Bereicherung werden.
Bildnachweis: Pixabay hochgeladen von Alanjvm am 06.November 2022