Sommerlektüre

Die Einheimischen haben die Stadt verlassen, überall nur Touristen – in Bussen, mit Mietautos oder zu Fuss, ihre Rollkoffer schiebend und alle Verkehrsregeln missachtend.

Ich meide die Stadt, wann immer ich kann. Eigentlich mag ich diese Zeit, aber seit das Wetter gekippt ist und es nur noch regnet habe ich mich zurück gezogen, sitze warm eingepackt auf dem Balkon und lese. Lesen ist zur Zeit mein Rettungsanker, es hilft mir auch meine momentane verfahrene Lebenssituation für ein paar Stunden auszublenden. Die Betreuung meiner alten Mutter, die hunderte von Kilometern entfernt wohnt, raubt mir viel an Lebensqualität.

Bücher helfen mir die vielen Stunden im Zug zu überbrücken. Allerdings greife ich in überfüllten Wagen auch manchmal zu einem Krimi.

Hier eine kleine Auswahl meiner Lektüre-Erfahrungen:

Claire Keegan – Kleine Dinge wie diese

Eine berührende Geschichte über die Magdalenen-Wäschereien in Irland, in denen bis in die Neunziger Jahre sogenannte „gefallene Mädchen“ untergebracht und unter dem Deckmantel kirchlicher Wohltätigkeit zugrunde gerichtet und ausgebeutet wurden.

Herbert Clyde Lewis – Gentleman über Bord

Eine Perle aus dem Jahr 1937, die erst kürzlich übersetzt wurde. Überall hochgelobt, was mich sehr stutzig machte, sich aber beim Lesen verflüchtigte. Es ist die tragi-komische Geschichte eines Börsenmaklers, der durch eine Reise seiner Sinnkrise entkommen möchte und versehentlich auf einem Schiff über Bord fällt. Seine Gedanken, während er stundenlang im Wasser treibt und auf Hilfe hofft, schwanken zwischen Alltäglichem, Zuversicht und Tod.

Toni Morrison – Rezitativ

Die einzige Erzählung dieser Nobelpreisträgerin, ebenfalls erst jetzt übersetzt, enttäuschte mich sehr. Da rettete auch das viel zu lange Nachwort von Zadie Smith nichts. Ein Werk gegen Rassismus…oder auch „rassismussensibel“ [ein wunderbarer Ausdruck – gelesen in einem Artikel von Martin Ebel], so die Feuilletonisten. Ich fand es fad und konstruiert.

Mein absolutes Lieblingsbuch der letzten Wochen stammt eindeutig von Lidia Ravera – Sprich mit mir

Ein kluges Buch über die Verwicklung einer über Sechzigjährigen in die blutigen Zeiten der Roten Brigaden. Sie lebt zurückgezogen und anonym in einer stillen Wohnung am Tiber in Rom – bis neue Nachbarn einziehen. Das Buch besticht durch seinen besonderen Sprachstil. Selbst komplizierte Themen wie Krieg werden federleicht aufgegriffen. Ein „must-have“ für mich.

Mit diesen Empfehlungen sage ich Tschüss bis zum nächsten Beitrag.

Bildnachweis: Pixabay am 22.Juli 2020 hochgeladen von Majaranda