Ich habe 2019 dieses Thema schon mal gestreift. Das war vor Corona und der Insta-Hysterie.
Nun war ich auch wieder auf Reisen und konnte dieser Problematik nicht mehr ausweichen. Wir dachten Städtereisen im Oktober zu unternehmen sei etwas bedächtiger als im Hochsommer. Weit gefehlt. Spanien ächzste geradezu unter dem Touristenansturm. In jeder Stadt das gleiche Setting:
Lange Schlangen vor allen Sehenswürdigekeiten und überfüllte Plätze auf denen Reisegruppenleiter in den exotischsten Sprachen in ihre Headsets brüllten. Als Paar hatten wir kaum eine Chance, uns irgendwie durchzuschlängeln, weil Gruppen wie ferngesteuert funktionieren. Erst wenn der Leithammel sich bewegt, tun sie es auch.
Anfangs wunderte ich mich über all die Absperrbänder in Madrid und ärgerte mich ein bisschen, dass es gerade so viele Baustellen gab, bis ich begriff, dass es sich nicht um Bauarbeiten handelte, sondern um den verzweifelten Versuch der Stadt, gegen den Selfie-Wahn der Massen vorzugehen. Es waren Schutzzonen rund um besonders attraktive Wahrzeichen errichtet worden. Denn alle wollen sich vorm „Bär am Erdbeerbaum“ positionieren, und zwar genau so wie gewisse Influencer/innen es ihren Followern vormachen.
Eine drastische Form dieser Selbstdarstellung erlebten wir in einer Kathedrale. Beim Eintreten wurden wir von wunderschönem Licht überrascht. Die Sonne stand wohl gerade günstig. Irgendwo im Kirchenschiff gab es Menschenansammlungen. Auch da brauchte mein Gehirn etwas Zeit um zu begreifen, was gerade vor sich ging: das waren alles Leute, die sich im Lichtstrahl der Sonne an diesem Ort in Szene setzten, theatralisch posierten und fotografieren liessen.
Erst als sich dann eine junge Frau im knappen Mini in diesem Lichtstrahl niederkniete und die Hände dramatisch zum Gebet faltete, schritt die Security ein. Das Paar war empört, dass ihnen dieser Post verwehrt wurde. Sie hätten sicher viele Likes bekommen.
Ist das, weswegen sich Massen von Reisenden heutzutage auf den Weg machen? Nur, um irgendwelche Bilder nachzustellen und zu posten? Damit alle Welt sehen kann – sie waren auch da?
Bildnachweis: Pixabay am 11. März 2020 hochgeladen von nikolaus bader